Vergebung? Soll das vielleicht heissen, ich soll meiner Mutter vergeben, dass sie sich nie um mich gekümmert hat, mich mit allem und jedem allein gelassen hat, dass sie nie für mich da war, wenn ich sie gebraucht hätte? Vergeben, dass sie immer weggeschaut hat, wenn mein Vater mich missbraucht hat? Meinem Vater vergeben, dass er mich und meine Mutter regelmässig verprügelt hat, wenn er wieder einmal besoffen nach Hause gekommen ist? Soll ich meiner Ehefrau/meinem Ehemann vergeben, dass sie/er mich ständig betrogen hat? Meiner Exfreundin vergeben, dass sie mich nur benützt hat und mich um mein ganzes Vermögen gebracht hat und ich jetzt da stehe mit nichts in der Hand? Soll ich meinem Exfreund etwa vergeben, dass er keine Gelegenheit ausgelassen hat, um mich in Gesellschaft vor allen Leuten klein zu machen, zu erniedrigen, nie zu mir gestanden hat? Dass er immer nur Sex wollte anstatt mich einfach in den Arm zu nehmen, wenn es mir schlecht ging? Und noch viel schlimmer: Soll ich vielleicht dem Mörder meines Mannes vergeben, soll ich dem Schwein vergeben, das meine Frau vergewaltigt hat? Ja habt ihr eigentlich noch alle Tassen im Schrank, dass ihr glaubt, ich könne an so etwas wie „Vergebung“ auch nur denken?
Ja, so absurd es auch klingen mag. Warum? Weil es ohne Vergebung keine Heilung gibt. Dazu muss man allerdings einiges wissen und bedenken. Viele psychische Krankheiten wie mangelndes Selbstwertgefühl, Angststörungen, Soziophobien (Grundsätzliche Abneigung gegen Menschen) und viele andere sind in der Kindheit entstanden und haben ihre Wurzeln in schweren Kränkungen in dieser Zeit. Auch manche schwere körperliche Krankheiten wie Morbus Crohn (eine entzündliche Darmerkrankung) oder Asthma bronchiale können durch Kränkungen in der Vergangenheit entstanden sein, die den Betroffenen gar nicht mehr bewusst sind.
Werden vergleichsweise „leichte“ Kränkungen für die spätere Entstehung eines psychischen Leidens wie zum Beispiel mangelndes Selbstwertgefühl, in Hypnose aufgedeckt, so kann meist „echt“ vergeben werden. In der analytischen Regressionshypnose kann vielleicht mangelnde Zuwendung durch die Mutter in der Kindheit als Ursache für mangelndes Selbstwertgefühl aufgedeckt werden. Diese mangelnde Zuwendung kann dadurch bedingt sein, dass sich die Mutter auch noch um eine/n kleine/n Bruder/Schwester kümmern musste. Dieses Geschwisterchen hatte vielleicht auch noch irgendein Gebrechen, weswegen es einer besonderen Fürsorge bedurfte. War die Mutter womöglich auch noch Alleinerzieherin und musste arbeiten gehen, um ihre Kinder durch zu bringen, dann blieb ganz einfach für unseren Klienten nicht mehr genügend Zeit. Ein 3 jähriges Kind versteht das aber nicht. Es bezieht die mangelnde Zuwendung seiner Mutter auf sich und fühlt sich weniger wert. Kommen in der Folge noch weitere ähnliche Erlebnisse dazu, verstärkt sich das Ganze noch einmal und es entsteht schliesslich ein psychisches Leiden. In Hypnose kann man nun mit verschiedenen Techniken dem Unterbewusstsein des Klienten erklären, warum die Mutter damals so handeln musste. Man kann ihm klar machen, dass dies aber keineswegs bedeutet hat, dass sie ihn, den Klienten, weniger geliebt hätte als den Bruder oder er gar für sie weniger wert gewesen sei als der Bruder. In Hypnose kann das Unterbewusste von dieser Sachlage gewissermassen „überzeugt“ werden und der Mutter „vergeben“, dass sie sich damals nicht in dem Masse um den Kleinen gekümmert hat, wie es seiner damaligen Meinung nach notwendig gewesen wäre. Das ist ein Schlüsselpunkt: Das Unterbewusste, nicht das Bewusstsein, muss überzeugt werden. Erst dann ist eine Heilung möglich.
Vergibt nur das Bewusstsein, ist Vergebung wirkungslos. Ein Beispiel: Eine Tochter wird an das Sterbebett ihres Vaters gerufen. Der Vater hat seine Tochter in der Kindheit regelmässig misshandelt und missbraucht. Bevor er stirbt, möchte er nun sein Gewissen erleichtern. Er möchte, dass ihm seine Tochter vergibt, bevor er stirbt. Angesichts seines bevorstehenden Todes kommt die Tochter und vergibt ihm, worauf er einigermassen ruhig sterben kann. Die Tochter hat ihm aber nur mit ihrem Bewusstsein vergeben. Sie hat „bewusst“ zu sich selbst gesagt, okay, er war ein Schwein, aber jetzt stirbt er und ich kann es mit meinem Gewissen nicht verantworten, dass er mit dieser Schuld belastet stirbt. Ausserdem: Was würden die Leute denken, wenn ich ihn ohne Vergebung sterben lasse? Sie würden zumindest insgeheim über mich herziehen und sagen, ich sei kaltherzig und eine furchtbare Tochter. Aus all diesen rational wohl überlegten Gründen vergibt die Tochter. Ihr Groll, ihr Hass schlummern aber weiter in ihrem Unterbewusstsein. Dieses hat dem Vater seine Missetaten nicht vergeben und ihre seelische oder vielleicht sogar schwere körperliche Erkrankung, die durch die schweren Misshandlungen ihres Vaters verursacht wurde, bleibt weiter bestehen. Damit auch das Unterbewusste vergeben kann, ist Hypnose notwendig.
Hier kommen wir zu einem sehr schwierigen Punkt. Schwerwiegende Verletzungen können meist auch in Hypnose vom Unterbewusstsein nicht „vergeben“ werden. Man kann und muss aber, unterstützt durch den Hypnosetherapeuten als „Moderator“ die negativen Emotionen (Hass, Wut…), die mit der Verletzung verbunden sind, LOSLASSEN. Es geht also darum, die krankmachenden negativen Energien LOS ZU LASSEN. Das ist für eine Heilung unerlässlich, weil sonst unweigerlich diese negativen Energien weiterhin die psychische und physische Gesundheit des Leidenden zerstören. Es geht dabei gar nicht um den Verursacher des Leidens, sondern ausschliesslich um den Leidenden selbst. Der Hass, die Wut raubt dem Leidenden jegliche Kraft, zerstört sein Leben. Der Leidende ist im Gefängnis seines Hasses eingesperrt. Der Verursacher des Leidens leidet dabei mitnichten. Kann man tief in seinem Inneren, in seinem Unterbewusstsein, diese gewaltigen negativen Kräfte wirklich loslassen, wird man frei. Freilich macht man die krank machenden Ereignisse damit nicht ungeschehen. Aber man kann emotionslos, wie auf ein Ereignis der Geschichte darauf zurück blicken. Damit dies möglich wird, bedarf es der Hypnose.
Jeder kennt Al Capone. Den berüchtigten Mafioso, der in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Chicago unsicher machte. Er hat unzählige Menschen erpresst, drangsaliert, selbst umgebracht oder umbringen lassen. Al Capone wurde sicher von vielen gehasst. Gehasst von Angehörigen seiner Mordopfer, gehasst von vielen Leuten, die er erpresst hat, deren Leben er ruiniert hat. Ganz sicher waren darunter viele Menschen, die an nichts anderes mehr denken konnten als an ihren Hass auf Al Capone, dass sie ihn am liebsten umbringen würden, mit eigenen Händen erwürgen. Leider konnten sie es nicht, denn er war ein gewitzter Gangster und ständig von Leibwächtern umgeben. Wenn jemand auf die Idee gekommen wäre, einem solchen Opfer von Capone sein Foto zu zeigen, so wäre dieser Mann ganz sicher ordentlich in Rage geraten. Sein Blutdruck wäre gestiegen, er hätte vielleicht zu zittern begonnen, der Schweiss wäre in Strömen an ihm herunter geronnen. Vielleicht hätte er auch laut aufgeschrien, dieses Schwein, ich werde ihn töten, ich werde ihn zu Brei zerquetschen, ich werde… Er konnte nichts von alledem tun. Stattdessen hat er Magengeschwüre bekommen, wurde noch depressiver, hat womöglich seine Frau und seine Kinder drangsaliert in all seiner Frustration. Hat Al Capone das gestört? Hat das irgendwie sein Leben beeinträchtigt? Ganz und gar nicht. Er hat nicht einmal gewusst, dass seine Widersacher so empfanden. Ja, schon, natürlich konnte er sich denken, dass der eine oder andere, dass wahrscheinlich sogar viele, tiefen Hass gegen ihn empfinden. Aber sein Leben hat das keineswegs beeinträchtigt. Diese geballte Ladung Hass so vieler Menschen hat Al Capone nicht getroffen. Sie ist ins Leere gepufft. Er starb natürlich auch nicht daran. Al Capone starb an Syphilis, die er sich bei einer seiner Prostituierten eingefangen hatte, mit 47 Jahren.
Was passiert, wenn DU ein Foto von Al Capone siehst? Du denkst, aha, den kenne ich doch, dieses Bild habe ich doch schon irgendwo, irgendwann gesehen. Ah ja, natürlich, auf Youtube oder neulich bei einer ZDF info Dokumentationssendung als es um die Geschichte der amerikanischen Mafia ging. Der da auf diesem Foto, das ist Al Capone. Und was jetzt? Nichts jetzt. Du hast den Mann auf dem Foto erkannt und es lässt dich völlig kalt.
Das Ziel der Vergebung ist LOS LASSEN. Los lassen bedeutet, dass ein Foto von dem Mann, der dich jahrelang geschlagen hat, von dem „Geschäftsfreund“, der dich um CHF 100000 geprellt hat, von dem Liebhaber, der gegen deinen Willen ein Nacktfoto von dir auf Facebook gepostet hat, von deiner Mutter, die sich nicht um dich gekümmert hat, als du sie dringend gebraucht hättest, von dem Vater, der ausser Schlägen nichts für dich übrig hatte, dass ein Foto von all diesen Leuten auf dich dieselbe Wirkung hat wie ein Foto von Al Capone.
Hypnose führt nicht dazu, dass das durch die Kränkung im Unterbewusstsein produzierte Programm gelöscht wird. Das kann Hypnosetherapie nicht. Aber sie kann die mit diesem Programm verbundene negative Emotion, also die krankmachende Energie auslöschen. Denken wir nach einer gelungenen Hypnosesitzung an den Verursacher, dann ist es so als ob wir auf ein Foto von Al Capone blicken würden. Es ficht uns nicht an. Es macht uns im wahrsten Sin des Wortes, nicht mehr krank. Wir haben uns vom Krankmacher befreit. Darum geht es: FREI werden vom Krankmacher und der Kränkung, damit WIR wieder die Kontrolle über unser Leben haben und NICHT der Krankmacher. Und besonders wichtig: Das alles geschieht in Hypnose nicht im schwachen Bewusstsein, sondern im starken Unterbewusstsein. Dadurch ist die Heilung dauerhaft.